von
Abdullah Redzepi und Christian A. Herbst in der April Ausgabe von PersonalSCHWEIZ | Parrtner.ch
Warum sich Führung verändert
Die Zusammenhänge heute in der Gänze zu durchschauen, zu verstehen und zielführend zu interpretieren, grenzt nicht selten an einen schier unmöglichen Akt im Führungsalltag. Kaum ist VUCA halbwegs angekommen (obwohl seit den 90er-Jahren davon die Rede ist), soll es bereits durch BANI abgelöst werden.
BANI, ein Akronym, das unsere noch komplexere Gegenwart umschreibt. Ja, die Welt – und auch die Arbeitswelt – wird zusehends brüchiger, ängstlicher, nichtlinearer und teils unbegreiflicher – also brittle, anxious, non-linear, incomprehensible – kurz BANI.
Wir reden über eine Gegenwart, in der von Führungskräften gefordert wird, noch flexibler, anpassungsfähiger, lernbereiter und interdisziplinärer zu denken und zu handeln. Es gilt, sich selbst, Teams und das Unternehmen auf noch komplexere und unsichere Umgebungen einzustellen sowie effektiv und zielführend in Richtung eines nachhaltigen Erfolgs zu führen.
Unternehmen brauchen heute Führungskräfte, die bereit sind, Veränderungen schnell zu antizipieren, sich den unvorhersehbaren Herausforderungen und Chancen zu stellen und Entscheidungen zu fällen. Altbewährte Führungsansätze und -instrumente, allen voran «predict and control», funktionieren nicht mehr. Führung braucht eine veränderte Haltung und adäquates Führungsverhalten, um in einer Welt, in der man mehr und mehr «auf Sicht» fahren muss, immer noch steuern zu können.
Gute Führung nimmt sich Zeit, genau hinzuschauen
Unsere Gesellschaft ist geprägt von Aktivismus: Es muss immer «etwas gehen». Insbesondere Führungskräfte sind darin geschult, viele Dinge gleichzeitig voran- zutreiben und zu bewegen, denn schliesslich gilt: Zeit ist Geld. Das ist im Grunde nicht falsch, und wir alle verstehen, dass Effizienz und Gewinnorientierung in Unternehmen notwendig sind. Doch generell in turbulenten Zeiten und gerade jetzt ist es nicht zielführend, nur irgendwie «weiterzumachen».
Eine alte Weisheit besagt: «Wer es eilig hat, soll langsam gehen.»
Für diejenigen, die Verantwortung tragen, ist in hektischen und komplexen Zeiten die Versuchung gross, auf jeden «Zug» aufzuspringen, um zu zeigen, dass sie etwas tun. Stattdessen ist es jetzt wichtig, genau hinzuschauen, vor- und nachzudenken, um herauszufinden, was gerade passiert und was es braucht. Sorgfältig abwägen, welche Weichen neu gestellt werden müssen und welche nicht – das ist es, was Führung im Blick und im Griff haben sollte. Pausieren und eine Auszeit nehmen scheint vielen nicht effizient, und man scheut die Folgen. Mittel- und langfristig ist das genaue Hinschauen elementar.
Es ist wichtig, sich immer wieder vor Augen zu führen und sich auf das zu konzentrieren, was bereits gut funktioniert und beibehalten werden kann. Gerade wenn man Veränderungsprozesse aufgleist, ist es hilfreich, explizit das zu benennen, was gut ist und nicht verändert wird. So begegnet man den Ängsten, dass jetzt «alles» anders sein wird und «nichts», was bisher gemacht wurde, richtig und gut war.
Wertzuschätzen, was eine Organisation dahin gebracht hat, wo sie jetzt steht, ist ein wichtiger Bestandteil von erfolgreichen Veränderungsbestrebungen. Zu bewahren, was ein Unternehmen erfolgreich macht und Wettbewerbsvorteile bietet, ist nicht verkehrt und sollte ohne gute Gründe nicht aufgegeben werden. Anderenfalls läuft man Gefahr, dass Veränderungen zu einer Seitwärtsbewegung und nicht zu nachhaltigem Wachstum und Weiterentwicklung führen.
Führung beginnt mit Selbstführung
Gute Führung beginnt immer mit dem Blick nach innen. Menschen, die andere führen, brauchen ein tiefes Verständnis der eigenen, inneren Prozesse. Eine Führungskraft muss erst mal für sich selbst die «grossen Fragen» beantworten können:
• Wer bin ich?
• Warum bin ich auf dieser Welt und ganz spezifisch in diesem Unternehmen und in dieser Rolle?
• Was ist mir wichtig?
• Was ist mein innerer Kompass?
• Was motiviert mich?
• Wo will ich hin?
• Wie reagiere ich, wenn ich unter Druck gerate?
• Wie tanke ich auf?
Wenn Fährungskräfte diese – und ähnliche – Fragen beantworten können, sind sie eine verlässliche Stütze, wenn vieles ins Wanken gerät. Wer sich selbst als Persönlichkeit kennt und weiss, wie man in bestimmten Situationen reagiert und agiert, kann sich selbst, andere und ganze Organisationen wirkungsvoll und Erfolg versprechend in die Zukunft führen.
Faktoren erfolgreicher Veränderung
Wir alle dürfen uns darauf einstellen, dass permanente und immer schnellere Veränderung der Normalzustand ist. Eine Führungskraft ist aufgefordert, in unsicherem Terrain erfolgreich zu navigieren und nachhaltiges Wachstum für das Unter- nehmen zu gewährleisten. Hierzu gibt es Faktoren, auf die man sich konzentrieren kann, um so das Unternehmen optimal für dieses neue «Normal» aufzustellen.
Einer der zentralen Faktoren ist die Fähigkeit, auf komplexe Fragestellungen fundiert zu antworten – «einfache» Antworten sind zwar häufig erwünscht, aber nicht immer sind sie zielführend. Sich die Zeit zu nehmen, um in Ruhe passgenaue Ansätze zu wählen, ist eminent wichtig. Die hohe Kunst der Führung liegt darin, nachhaltige Lösungen auf komplexe Problemstellungen zu erarbeiten und diese so zu kommunizieren und zu implementieren, dass sie verständlich und umsetzbar sind.
Ein weiterer Faktor zum erfolgreichen Steuern in Veränderung besteht darin, Führungskräfte und Mitarbeitende zu mehr Selbstverantwortung zu ermutigen. Das Stichwort ist «empowering». Jeder und jede Einzelne darf lernen, grösstmögliche Verantwortung zu übernehmen. Weite Wege und lange dauernde Entscheidungsprozesse sind nicht mehr funktional in einer agilen Welt. Dort, wo das Know-how, die Erfahrung und die notwendigen Informationen sind, sollen die Entscheide getroffen werden. Führungskräften kommt verstärkt eine unterstützende und verbindende Rolle zu.
Eine zeitgemässe Unternehmenskultur etablieren
In Zeiten grosser Herausforderungen wie VUCA und BANI ist ein Umdenken, eine Stärkung und – in den meisten Fällen – eine Anpassung der Unternehmens- und Führungskultur unerlässlich. Es ist wichtiger denn je, das Gute auf- und auszubauen und eine nachhaltige, positive Veränderungskultur zu fördern.
Ein zeitgemässes Führungskonzept, das dies zu leisten vermag, ist Positive Leadership. Es beschreibt, wie eine stärkenorientierte Unternehmenskultur gelebt wird. Es wurden konkret fünf Faktoren evidenzbasiert identifiziert und wissenschaftlich nachgewiesen, welche dazu dienen, Führungskräfte und Mitarbeitende gerade in äusserlich unsicheren Konstellationen aussergewöhnliche Ergebnisse erzielen zu lassen.
Die fünf Faktoren sind im Akronym PERMA zusammengefasst: Durch das Fördern von positiven Emotionen (P = Positive Emotions), individuellem Engagement (E = Engagement), tragfähigen Beziehungen (R = Relationships), das Vermitteln von Sinn (M = Meaning) in der Arbeit und das Sichtbarmachen von Erfolgen (A = Accomplishment) können Führungskräfte gezielt und nachhaltig Wirkung entfalten. Es lohnt sich, dieses Führungsmodell genauer kennenzulernen und zu prüfen, wie es in der eigenen, aktuellen Situation Anwendung finden kann.
Denn klar ist heute schon: es braucht nicht weniger, sondern mehr Führung. Eine Führung, die nah bei den Mitarbeitenden ist, sich kontinuierlich mit Veränderungen auseinandersetzt, Veränderungen positiv gegenübersteht und sie willkommen heisst.
Abdullah Redzepi ist CEO der People+ Culture Group AG und Partner bei Parrtner AG. Er begleitet Organisationen und Führungskräfte in Veränderungs- und Entwicklungsprozessen als Sparring-Partner, Coach und Trainer.